Was wir von den Briten lernen können


    Kolumne von Franz Grüter


    (Bild: zVg)

    Es geht also doch. Auf Ende Jahr haben sich Grossbritannien und die EU auf ein Abkommen geeinigt. Der Brexit ist vollzogen. Ein erstes Fazit lässt sich ziehen: Die EU bewegt sich, wenn der Verhandlungspartner klar macht, dass er notfalls lieber keinen Vertrag abschliesst als einen schlechten.

    Das zweite Fazit: Grossbritannien hat das Hauptziel des Brexits erreicht. Das Land gewinnt seine Souveränität zurück. Das heisst die Kontrolle über seine Gesetze, Grenzen, Finanzen und den Handel. Oder wie sich Premierminister Boris Johnson ausdrückte: «Das Abkommen ändert die Grundlage unserer Beziehung zu unseren europäischen Nachbarn.» Künftig gelten Freihandel und freundschaftliche Zusammenarbeit statt EU-Recht und EU-Richter.

    Gleichberechtigtes Schiedsgericht
    Schauen wir die einzelnen Bereiche des Abkommens genauer an. Der wichtigste Punkt: Grossbritannien erlangt die Kontrolle über seine Gesetzgebung zurück. Der britische Handelsvertrag mit der EU enthält keine «unionsrechtlichen Elemente» mehr. Das heisst, für den gegenseitigen Warenhandel gilt nicht mehr EU-, sondern Welthandelsrecht («WTO-Recht»).

    Damit fällt auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) als oberste Instanz weg. Mögliche Streitigkeiten werden durch ein Schiedsgericht beigelegt, das diesen Namen auch verdient: Beide Parteien sind gleichberechtigt vertreten. Zur Erinnerung: Das Rahmenabkommen mit der EU würde bedeuten, dass sich die Schweiz dem Europäischen Gerichtshof unterstellt und automatisch EU-Recht übernimmt. Was wir von der SVP kategorisch ablehnen.

    Zuwanderung nach Punktesystem
    Kommen wir zum Bereich der Grenzen. Grossbritannien kann wieder eigenständig über die Zuwanderung entscheiden. Die Personenfreizügigkeit mit der EU ist beendet. Dafür führt die britische Regierung ein Punktesystem ein. Wichtigste Voraussetzungen für Immigrationswillige: Es muss sich um qualifizierte Arbeitskräfte handeln mit einem Jobangebot, Mindestgehalt und Grundkenntnisse der englischen Sprache. Hochqualifizierte Forscher und Wissenschafter dürfen auch ohne konkretes Jobangebot nach Grossbritannien einreisen.

    Zur Erinnerung: Wir können die Zuwanderung wegen der Personenfreizügigkeit schon lange nicht mehr steuern. Es kommen jährlich Tausende Zuwanderer in Branchen, wo wir bereits eine hohe Arbeitslosigkeit haben. Die EU will der Schweiz mit dem Rahmenabkommen zusätzlich die so genannte «Unionsbürgerrichtlinie» aufzwingen. Damit müssten wir einer grossen Zahl von EU-Bürgern einen weitreichenden Zugang zu unseren Sozialleistungen gewähren. EU-Bürger würden von unserer Arbeitslosenkasse und der Sozialhilfe profitieren, ohne überhaupt entsprechend Beiträge geleistet zu haben.

    Freihandel zum Vorteil beider Seiten
    Kontrolle über die Finanzen. Bisher war Grossbritannien mit rund 7 Milliarden Euro der zweitgrösste Nettozahler der EU. Neu gibt es keine Zahlungen mehr nach Brüssel. Zur Erinnerung: Der Bundesrat und die anderen Parteien wollen, dass das Nicht-EU-Mitglied Schweiz 1,3 Milliarden Franken «Kohäsionsbeitrag» an die EU zahlt – ohne Gegenleistung!

    Ein Kernstück des Abkommens ist der Freihandel. Die EU hat erstmals mit einem anderen Handelspartner ein Null-Zoll-Null-Quoten-Abkommen abgeschlossen. Das bedeutet, dass es keine Zölle oder Quoten für den Warenverkehr zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU geben wird. Die Schweiz hat übrigens seit 1972 ein vergleichbares Abkommen mit der EU – was aber die Anhänger der bilateralen Verträge und des Rahmenabkommens gerne verschweigen.

    Langfristiger Erfolg für die Schweiz
    Was heisst nun der Brexit für die Schweiz? Das von Grossbritannien erreichte Abkommen zeigt, wie schlecht der Bundesrat bisher verhandelt hat.

    • Das vorliegende Rahmenabkommen Schweiz-EU würde die Souveränität unseres Landes und damit auch der Schweizer Stimmbevölkerung massiv beschneiden.
    • Die Brexit-Vereinbarung enthält keine Guillotine-Klauseln, wie sie das Rahmenabkommen vorsieht. Diese Guillotine-Klauseln der EU kommen einem Knebelvertrag gleich, was ein souveräner Staat wie die Schweiz niemals akzeptieren darf.

    Keine EU-Richter, keine Rechtsübernahme, keine Personenfreizügigkeit, keine Guillotineklauseln und trotzdem Marktzugang. Daran haben sich Bundesrat Ignazio Cassis und seine Unterhändler auszurichten. Die Schweiz muss besser sein als die anderen. Wir wollen langfristigen Erfolg für unsere Unternehmen und Wohlstand für möglichst viele Menschen. Das erreichen wir nur als souveräner Staat, in dem wir selber bestimmen können, was wir wollen und was wir nicht wollen.

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