Die Online-Branche bewegt sich in einem dynamischen Wachstumsmarkt, der durch Corona massiv verstärkt wird. Stationärer Handel und E-Commerce verschmelzen miteinander und bieten KMU viele Möglichkeiten. Ein starker Strukturwandel, neue Jobprofile sowie die Internationalisierung des Marktes sind Herausforderungen und Chancen zugleich.
Der Lockdown stellt vieles auf den Kopf – auch unser Einkaufsverhalten. Ab Mitte März waren stationäre Geschäfte von heute auf morgen geschlossen, lediglich die Lebensmittelläden blieben noch offen. Es wird mehr zu Hause gearbeitet, gekocht und online gearbeitet. «Wenn der Kaffee nicht mehr im Büro, sondern zuhause genossen wird, stimmt die ganze Distribution der Kaffeeportionen nicht mehr», sagt Patrick Kessler, Geschäftsführer des «Handelsverband.swiss». Doch schon seit längerer Zeit findet in der Branche ein Strukturwandel statt. «Die Konsumenten bestellen mehr, was beispielsweise neue Logistikformate und Kapazitäten bedingt», weiss Kessler. Die systematische Unterscheidung zwischen stationären und E-Commerce-Anbietern ist obsolet geworden. Fast alle Marken und traditionellen Handelsunternehmen nutzen das Internet, Mobile Apps, Onlinemarktplätze oder Kundenzugangsdienstleister und unterstützen online zumindest einzelne Phasen, die ein Kunde in einer Kauftransaktion durchläuft. Umgekehrt nutzen viel Online-Anbieter eigene Ladengeschäft, Pop-up-Stores oder Pickup-Stellen als stationäre Kontrapunkte. Ihnen geht es darum, die Marke sichtbar und erlebbar zu machen, persönlichen Service zu erbringen, Waren zur Abholung bereitzustellen oder zurückzunehmen und einen Teil des Angebots zur sofortigen Mitnahme zu verkaufen. «Die Geschäftsmodelle offline und online verschmelzen», sagt Kessler. Allerdings wird der stationäre Handel nicht verschwinden. «Es gibt immer Produkte, die eine fundierte Beratung vor Ort voraussetzen und Konsumenten, die den persönlichen Kontakt suchen», so Kessler.
Gewaltiges Wachstum dank Corona
«In den letzten vier Jahren ist der Onlinehandel zwischen acht und zehn Prozent konstant gewachsen. 80 Prozent der Konsumenten haben schon online eingekauft und kaufen immer regelmässiger online ein. Es geht also nicht mehr um die Frage, ob, sondern wie viel via E-Commerce gekauft wird», sagt Kessler. Und er prognostiziert, dass die weitere Verschiebung in den nächsten zehn Jahren zu online sehr gross ist. Einen kräftigen Sprung nach vorne hat sie bereits in den letzten Monaten durch Covid-19 erhalten. Dazu Kessler: «Wir haben einen 2- bis 3-Jahres-Schub gemacht.» Er ergänzt: «Wir rechnen für E-Commerce-Umsätze mit physischen Waren in diesem Jahr mit einem Wachstum zwischen 25 und 30 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr.» In absoluten Zahlen bedeutet das auf der Basis der 2019er Schweizer Onlineumsätze in Höhe von 8,3 Milliarden Franken ein Wachstum zwischen 1,8 und 2,5 Milliarden Franken. «Wäre das Jahr 2020 ähnlich wie die letzten Jahre verlaufen und hätte es keine Corona-Krise gegeben, wäre ein Wachstum in Höhe von 9 Prozent oder 0,75 Milliarden Franken zu erwarten gewesen.»
Voraussichtlich wird im ersten Halbjahr 2020 der Food-Markt online stärker wachsen als der Nonfood-Markt. Über das ganze Jahr gesehen, werden sich die beiden Bereiche allerdings ungefähr die Waage halten. «Innerhalb der Nonfood-Sparte gibt es grosse Unterschiede zwischen den Warensegmenten. Die ersten vier Monate im Jahr deuten darauf hin, dass Freizeit, Hobby, Spielwaren und Home & Living stark überdurchschnittlich wachsen, Uhren & Schmuck sowie Fashion dagegen unterdurchschnittlich.»
Neue Jobprofile entstehen
Auch in der Aus- und Weiterbildung hat sich im E-Commerce einiges getan. So wird die Lehre für Detailhandelsangestellten mit online ÜK-Kursen ergänzt. Ebenso wünscht sich der Verband ein weiterführendes Berufsbildungsangebot im Sinne eines eidg. Fachausweises. Gespräche dazu sind angelaufen. Die Zukunft des Handels geht in Richtung E-Commerce. Dementsprechend schafft die dynamische Branche neue Berufe in den Bereichen Logistik, Marketing, Webshop etc. Gerade IT-Spezialisten sind aktuell sehr gefragt. «Das Rad der Innovationen und Trends steht hier niemals still. So sind viele neue Jobprofile am Entstehen. Das schafft auch wieder neue Arbeitsplätze», so Kessler.
Der «Handelsverband.swiss» engagiert sich auf politischer Ebene für die Anliegen der Branche. Ein grosses Thema ist dabei die Mehrwertsteuerpflicht für ausländische Onlinehandels-Plattformen. Seit Anfang letzten Jahres müssen auch ausländische Online-Händler Mehrwertsteuer für Kleinwarensendungen abrechnen, wenn sie hierzulande mehr als 100’000 Franken Umsatz erwirtschaften. «Grosse Player wie Alibaba oder Wish fungieren lediglich als Plattform. Sie sind Vermittler – keine Händler – und sind von der neuen Regelung nicht betroffen», ärgert sich Kessler. Der Vernehmlassungsprozess zur Ausdehnung der MWST-Plicht dieser Plattformen läuft zurzeit. Interveniert hat der Verband gegen die vorgezogene Recyclinggebühr, die der Bundesrat nun für obligatorisch erklären will. Auch in dieser Vorlage hat man die ausländischen Anbieter vom Obligatorium «ausgeklammert».
Internationalisierung als Folge der Digitalisierung
Eine grosse Herausforderung ist die Internationalisierung im Onlinehandel. Die digitalen Märkte eröffnen KMU viele Chancen, auch Möglichkeiten, in anderen, internationalen Märkten Fuss zu fassen, betont Kessler. Die Schweiz hat hier eine gute Ausgangslage. Dafür benötigt es gemäss Kessler allerdings eine Portion Mut, den Versuch zu wagen, ein Schweizer Produkt schnell und unkompliziert im Ausland zu verkaufen. «Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Jeder Händler muss deshalb sein digitales Handelspotenzial neu beurteilen. Die demografische Entwicklung spricht klar für eine zunehmende Digitalisierung des Handels.»
Corinne Remund
Weitere Infos: www.handelsverband.swiss
DAS MACHT DER HANDELSVERBAND.SWISS
Zeichen für die Zukunft gesetzt
Die Gründung des Verbandes des Schweizerischen Versandhandels VSV geht ins Jahr 1938 zurück. Damals schlossen sich Versandhandelsunternehmen zur Interessenbündelung zusammen, um gemeinsam eine stärkere Schlagkraft zu generieren und ihren Auftritt nach aussen zu stärken. Sie machten gemeinsam Werbung für ihre Branche und grenzten sich mit einem Gütesiegel zur Promotion des Versandhandels von sogenannten «schwarzen Schafen» ab. Ein weiterer Meilenstein in der Verbandsgeschichte ist der Zusammenschluss des VSV mit dem Verband Schweizerischer Filialunternehmungen VSF am 17. Juni 2020. Neu tritt der Verband unter dem Namen «Handelsverband.swiss» auf. «Mit dieser Fusion haben wir einen wichtigen Schritt in Richtung Zukunft getan. So können wir Kompetenzen, Erfahrungen und Netzwerke vereinen und zusammenführen», erklärt Geschäftsführer Patrick Kessler. «Unser Ziel ist es, so die Verbandsmitglieder noch besser zu vertreten und ihnen zusätzliche Dienstleistungen anzubieten.»
Umsatz von rund 17 Milliarden Franken
Der «Handelsverband.swiss» vereint über 350 Händler – davon rund 300 KMU – die in der Schweiz rund 17 Milliarden Franken Umsatz erwirtschaften, davon 7 Milliarden online und 10 Milliarden stationär. Die Mitglieder betreiben circa 380 Online-Shops, versenden 55 Millionen Pakete in der Schweiz.
Der «Handelsverband.swiss» engagiert sich für:
- Kooperation und Vernetzung der Händler untereinander
- Konstruktiver Austausch mit Dienstleistungspartnern inklusive Rahmenverträgen
- Zertifizierung von Online Shops mit der Swiss Online Garantie
- Berufs- und Weiterbildung
- Politische Gesetzgebungsprozesse
- Vertrauenswürdigen und sicheren Online-Handel
- Verlässliche Marktzahlen und Studien
- Wahrung der Interessen der Händler in Spezialsituationen
- Schlichtung von Konflikten im Bereich Online-Handel
CR