«Bei den Haustieren fehlen immer wieder Impfstoffe»

    Haustiere wie Hunde und Katzen spielen eine grosse Rolle im Leben von Frau und Herrn Schweizer und es gibt keine Anzeichen von einer Veränderung – im Gegenteil. In fast jedem zweiten Schweizer Haushalt leben Heimtiere: in etwa 12 Prozent aller Haushalte wohnt ein Hund, in 28 Prozent aller Haushalte lebt eine Katze.

    (Bilder: zVg) An Hunden und Katzen werden immer komplexere chirurgische Eingriffe durchgeführt.

    Dieser Boom wirkt sich auch auf die Tierarztpraxen aus. Daniel Gerber, Geschäftsführer der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte GST, gibt einen Überblick, über die Rolle der Haustiere in der Gesellschaft, und die Entwicklung der Tiermedizin, aber auch über Versorgungsengpässe von Medikamenten, Teilzeit und die Belastungen im Job als Tierärztin oder Tierarzt.

    Wie geht es den Haustieren in der Schweiz?
    Daniel Gerber: Dies ist natürlich sehr individuell. Insgesamt hat die Bedeutung der Haustiere in der Gesellschaft sicher zugenommen und damit auch die Sorge um ihr Wohlergehen. Andererseits werden Haustiere noch zu oft von unseriösen Anbietern aus dem Ausland gekauft. Hier appellieren wir an die Tierhaltenden, sich vor einem Kauf gut zu informieren. Wer sich ein Haustier anschafft, sollte zudem mit Blick auf die gesamte Lebensdauer des Tieres die persönlichen und finanziellen Ressourcen (z.B. Wohnsituation, Budget für Tiernahrung und tierärztliche Behandlungen) auch langfristig berücksichtigen.

    Seit der Pandemie haben sich viele Menschen ein Haustier angeschafft, Hunde und Katzen sind sehr beliebt. Spüren Sie das in den Tierarztpraxen. Oder anders gefragt. Hat die Pandemie für mehr Arbeit gesorgt?
    Die Anzahl Haustiere hat in der Tat in den letzten Jahren zugenommen. Allein die Anzahl Hunde in der Schweiz ist in den vergangenen fünf Jahren von rund 500’000 auf aktuell 553’000 gestiegen. Die Mehrarbeit verschärft die aktuelle Problematik des Fachkräftemangels in den Tierarztpraxen. Tierarztpraxen haben zunehmend offene Stellen, die sie nicht besetzen können. Die GST fordert daher unter anderem mehr Studienplätze in der Veterinärmedizin.

    Daniel Gerber GST-Geschäftsführer: «Die in der Schweiz ausgebildeten Tierärztinnen und Tierärzte können die Nachfrage des Marktes nicht mehr decken.»

    Wie hat sich das Verhältnis zum Tier in den letzten Jahren verändert und welche Auswirkungen hat das auf die Tiermedizin, respektive die Tierarztpraxen?
    Haustiere werden heute oft als Familienmitglied betrachtet. Damit steigen auch die Anforderungen an die Behandlungen und die Erwartungen an deren Erfolg. Andererseits haben sich die Möglichkeiten der Diagnostik und Behandlung wie in der Humanmedizin stark entwickelt.

    An Hunden und Katzen werden immer komplexere chirurgische Eingriffe durchgeführt. Die Veterinärmedizin entwickelt sich zur Hightechmedizin. Wie hoch ist die Breitschaft für die vierbeinigen Freunde viel Geld auszugeben und ist eine solch teure Tierliebe ethisch vertretbar, respektive wo sind die Grenzen?
    Verglichen zu Behandlungen bei Menschen kommen bei Tierpatienten häufiger finanzielle Aspekte als limitierende Faktoren zum Tragen, da die Tierhaltenden selber für die Kosten aufkommen müssen. Erst wenige Tiere sind krankenversichert. In der Tat bringt dies oft ethische Fragen mit sich. Jeder Fall muss daher individuell angeschaut werden. Tierärztinnen und Tierärzte haben dabei eine wichtige und anspruchsvolle Funktion: Einerseits als medizinische, andererseits auch als moralische Beratende des Tierbesitzers oder der Tierbesitzerin. Tierärztinnen und Tierärzte versuchen die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung stets im «besten Interesse» des Tieres zu wählen.

    Die GST betreibt seit einem Jahr ein Notfalltelefon. Ist die Tiermedizin eine so nervenaufreibende Branche geworden oder wieso ist dies nötig? Welche Bilanz ziehen Sie nach einem Jahr?
    Auch wenn gemäss repräsentativen Studien der GST ein grosser Teil der Tierärztinnen und Tierärzte zufrieden bis sehr zufrieden mit ihrem Beruf ist, sind Belastungen im Berufsalltag für viele Tierärztinnen und Tierärzte eine Realität. Dazu gehören unregelmässige Arbeitszeiten, viele Überstunden, Notfalldienst, schwierige Gespräche mit Kundinnen und Kunden oder finanzieller Druck. Bei den Haustieren spielt dabei der grössere Stellenwert im Vergleich zu früher sicher eine gewisse Rolle, indem die Erwartungen der Kundschaft gestiegen sind. Das Notfalltelefon ist ein wichtiges Element, um den Belastungen unserer Mitglieder zu begegnen. Wir arbeiten darüber hinaus an verschiedenen präventiven Massnahmen, um das Wohlbefinden im Beruf und die mentale Gesundheit zu fördern. Die Bandbreite der Anliegen ist sehr gross.

    Auch in der Tiermedizin-Branche herrscht Fachkräftemangel. Wieso das und was ist Ihre Strategie dagegen?
    Die Ursachen sind vielfältig. Nebst der erhöhten Anzahl Tiere spielt sicher auch die Teilzeitarbeit, die in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, und der dadurch erhöhte Personalbedarf eine Rolle. In den vergangenen Jahren wurden immer etwa gleich viele Studierende ausgebildet, die Anzahl ist durch den Numerus Clausus begrenzt. Die in der Schweiz ausgebildeten Tierärztinnen und Tierärzte können die Nachfrage des Marktes nicht mehr decken. Dies zeigt auch die starke Zunahme von Tierärztinnen und Tierärzten aus dem Ausland, die in der Schweiz eine Zulassung erhalten. Der Fachkräftemangel ist komplex und muss auf verschiedenen Ebenen angegangen werden. Die GST fordert in einem Massnahmenkatalog unter anderem zusätzliche Studienplätze in der Veterinärmedizin. Zudem schlägt sie vor, die Zulassungsbedingungen zum Studium zu überprüfen und im agrarpolitischen Netzwerk Anreizsysteme für die Nutztiermedizin in Randregionen zu schaffen.

    Die Tierarzneimittelversorgung in der Schweiz hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert.

    Auch in der Tiermedizin ist Teilzeitarbeit weit verbreitet. Funktioniert das gut und was bedeutet dieser Strukturwandel für die Branche?
    Grundsätzlich ist Teilzeitarbeit in vielen Bereichen der Tiermedizin gut möglich und führt zu einer grösseren Zufriedenheit. Arbeiten mehr Personen Teilzeit, werden aber insgesamt mehr Fachkräfte benötigt. Die Teilzeitarbeit erfordert zudem neue Formen der Arbeitsorganisation.

    Mittlerweile ist die Tiermedizin fest in Frauenhand. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Branche aus?
    Wie eine aktuelle Mitgliederstatistik der GST zeigt, arbeiten mehr Tierärztinnen als Tierärzte in Teilzeitpensen, wobei auch die Männer zunehmend Teilzeit arbeiten. Gemäss Bundesamt für Statistik ist die Teilzeitarbeit gesamtgesellschaftlich ein typisches Merkmal der weiblichen Erwerbsarbeit. Mit dem hohen Frauenanteil geht ein stärkerer Anstieg der Teilzeitarbeit einher, was wiederum das Problem des Fachkräftemangels verschärft. Massnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind für die Tiermedizin sehr wichtig.

    Tierversuche sind immer wieder ein grosses Thema: Wie steht es mit der Verbesserung der Haltungsbedingungen von Versuchstieren sowie den finanziellen und personellen Ressourcen für Bewilligung und Tierversuchen. Welche Forderungen hat die GST?
    Bei Tierversuchen muss das Ziel verfolgt werden, mit möglichst wenig Tierleid und möglichst niedrigen Tierzahlen den grösstmöglichen Nutzen für die Forschung zu erreichen. Ersatzmethoden sollten vermehrt gefördert werden. Aus Sicht der GST wird dieser Ansatz mit den in der Schweiz angewendeten 3 R-Prinzipien bereits verfolgt, was verstärkt werden muss. Die GST ist der Ansicht, dass bezüglich Tierwohl und Tierschutz im Rahmen von Tierversuchen weiteres Verbesserungspotenzial besteht. So sollten beispielsweise die gesetzlichen Anforderungen an die Haltungsbedingungen generell erhöht und das tiermedizinische Wissen bei der Planung, Beurteilung und Durchführung von Tierversuchen konsequent integriert werden. Ebenfalls fordert die GST mehr Ressourcen für die Bewilligungsverfahren und Kontrollen von Tierversuchen.

    Ein aktuelles Thema sind Versorgungsengpässe bei Tierarzneimitteln. Wie sieht die aktuelle Situation aus?
    Die Situation ist nach wie vor schwierig. Die Tierärzteschaft hält sich zwar mit Importen über Wasser, doch ist die Beschaffung von Tierarzneimitteln aus dem Ausland oft mit hohem Aufwand verbunden. Bei den Haustieren fehlen beispielsweise immer wieder Impfstoffe. Bei den Nutztieren fehlen grundlegende Mittel wie Calcium-Infusionen, Vitamine und Euter-Injektoren.

    Die Behörden wollen trotz Intervenieren der Tierärzteschaft nicht aktiv werden. Wie geht es jetzt weiter und welche Alternativen gibt es?
    Die GST verfolgt mehrere Lösungsansätze. Unter anderem fordert die Tierärzteschaft insbesondere eine gut funktionierende Meldeplattform analog der Humanmedizin, damit die Praxen schnell erkennen, wenn es Liefer- oder Versorgungsengpässe gibt und sie entscheiden können, ob ihr Lager ausreicht oder ob sie einen Import in Erwägung ziehen müssen. Hierzu gab es auch bereits Gespräche mit dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Die beteiligten Parteien mussten sich dabei zunächst einigen, welche Wirkstoffe in eine Meldeplattform aufgenommen werden sollen. Als Nächstes braucht es nun aber eine Änderung in der Verordnung, welche leider immer sehr viel Zeit benötigt.

    Die GST fordert weiter, dass die Veterinärpharmafirmen bei gewissen Tierarzneimitteln die Möglichkeit haben sollten, Präparate zu importieren und an Lager zu nehmen. Heute können sie nur im Auftrag von Tierärztinnen und Tierärzten die explizit bestellte Menge importieren. Die Pflichtlager für Medikamente sollten erweitert werden und generell die Produktion von Tierarzneimitteln in der Schweiz gefördert werden.

    Interview: Corinne Remund


    Der Verband der Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte

    Die GST setzt sich für das Tierwohl, die Gesundheit von Tier und Mensch und die Sicherheit der Lebensmittel ein. Als Dachverband vertritt sie die Interessen von rund 3500 Tierärztinnen und Tierärzten aus allen Berufsfeldern der Veterinärmedizin.

    Als Stimme der Tierärztinnen und Tierärzte in der Schweiz bringt sich die GST im politischen Entscheidungsprozess ein. Sie unterstützt eine nachhaltige Gesundheitspolitik in Einklang mit Mensch, Tier und Umwelt und einen gezielten und verantwortungsbewussten Einsatz von Tierarzneimitteln. Bei allen Themen arbeitet die GST eng mit ihren Sektionen, dem Bund und den Kantonen zusammen.

    www.gstsvs.ch

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